Die Re-Demokratisierung der Kommunen in Baden-Württemberg

Zeit bis zur Abgabe der Wahlvorschläge:

So viel Zeit bleibt Dir noch - am 28. März 2024 um 18:00 Uhr müssen die ausgefüllten Wahllisten mit den benötigten Unterstützungsunterschriften beim zuständigen Wahlleiter eingereicht sein. Es ist dringend zu empfehlen, dies mindestens 10 Tage vorher zu tun, damit eventuelle Fehler noch geheilt werden können. Erst dann beginnt der Wahlkampf!

Zeit bis zum ersten Versand der Briefwahlunterlagen:

Schon 6 Wochen vor der Wahl werden Briefwahlunterlagen versendet. In den letzten 6 Wochen des Wahlkampfes kann es also sein (und ist es leider immer öfter), dass Angesprochene schon gewählt haben. Zumindest die erste Information sollte also vor diesem Zeitpunkt in die Breifkästen oder sonstwie an die Menschen.

Zeit bis zur Eröffnung der Wahllokale:

Am 9. Juni 2024 um 8:00 Uhr öffnen die Wahllokale für die Kommunalwahl in Baden-Württemberg zusammen mit der Europawahl.


In immer mehr Städten, Gemeinden und Landkreisen (nicht nur) in Baden-Württemberg wird die demokratische Mitwirkung der Bürger auf die Wahl der Gemeinde- und Kreisräte alle 5 Jahre und auf die Wahl des Bürgermeisters alle 8 Jahre reduziert. Dass die Bürger damit nicht zufrieden sind, zeigt sich an den Umfragewerten, bei denen nicht nur für die „große“ Politik in Stuttgart, Berlin oder Brüssel, sondern auch für Bürgermeister, Gemeindevertreter und Stadtverwaltungen so negative Werte ermittelt wurden wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Wenn im Schnitt nur noch 43% der Menschen den Ortschafts-, Gemeinde- und Kreisräten vertrauen, ist dies alarmierend. Dabei ist zu beobachten, dass in vielen kommunalen Gremien die Gremienmitglieder schon seit vielen Jahren, teilweise Jahrzehnten sitzen, was mit der Zeit zu einer Entfremdung von der „normalen“ Bevölkerung führt.

Auf der anderen Seite bedeuten diese Umfragewerte auch, dass es noch nie so viel Potential für eine neue Bewegung, für einen neuen Politikstil gab wie heute. Die Menschen wollen nicht mehr nur einmal alle fünf oder acht Jahre ihre kommunalen Vertreter und ihren Bürgermeister wählen, sondern sie wollen bei wichtigen konkreten kommunalen Fragen einbezogen und gehört werden und auch selber mitentscheiden, ganz unabhängig, wen sie in die Gremien gewählt haben oder ob sie überhaupt gewählt haben.

Weiterhin wollen immer mehr Menschen keine Ideologien mehr in der Politik, die sich aus den Progammen der Parteien mehr oder weniger zwangsläufig ergeben. Eine wirklich ideologiefreie und vernunftorientierte Kommunalpolitik, die das Wohlergehen der Bürger der eigenen Gemeinde und des eigenen Land- oder Stadtkreises als einziges und oberstes Ziel hat, ist nur ohne Parteipolitik möglich. Parteipolitik hat keinen Platz auf der kommunalen Ebene!

Viele Menschen fordern sogar eine Generalsanierung der deutschen Politik. Diese muss aber von unten kommen, von den Kommunen, denn wenn die Kommunen NEIN sagen zu ideologischen Vorgaben, können diese nicht umgesetzt werden. Es braucht in den kommunalen Parlamenten wieder Menschen mit gesundem Menschenverstand, die vernunftgesteuerte Politik zum Wohle ihrer Bürger machen, die NEIN sagen zu ideologischen Vorgaben aus Stuttgart, Berlin oder Brüssel und wirkliche Subsidiarität – ein Kernelement jedes demokratischen Zusammenlebens – einfordern.

Denn jede Partei, die regiert bzw. regieren will, will ihre Politik durchsetzen. Das erfordert, dass sie „nach unten“ Weisungen gibt, denn der größte Teil der Politik wird in den Kommunen praktisch umgesetzt. Das bedeutet aber auch, dass jede bisherige Partei das Ziel hat, die Subsidiarität einzuschränken, um ihre Politik und ihre Vorgaben durchzusetzen. Diese Vorgaben sind bestenfalls unschädlich, meist aber störend. Die Partei, die sich nur auf die organisatorische Unterstützung der Kommunen, die Festlegung der allgemeinen Rahmenbedingungen und die Außenpolitik konzentriert und den Kommunen weitestgehenden Spielraum in ihren Entscheidungen (und entsprechende Finanzierungsanteile am Steuerkuchen) lässt, gibt es leider noch nicht. Deshalb ist jede Parteipolitik in den Kommunen fehl am Platz.

Die Kommunalwahl 2024 ist der ideale Zeitpunkt für die Re-Demokratisierung der Kommunen, für mehr direkte politische Teilhabe aller Bürger und für eine ideologiefreie und vernunftgesteuerte Kommunalpolitik!

Dabei sieht die baden-württembergische Gemeindeordnung (GemO) umfassende Mitwirkungsrechte der Bürger vor – in § 1 Satz 3 GemO ist sogar formuliert: Eine verantwortliche Teilhabe an der bürgerschaftlichen Verwaltung der Gemeinde ist Recht und Pflicht des Bürgers. Wir, die Bürger, haben also nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Selbstermächtigung, um uns an der Verwaltung und Gestaltung unserer Gemeinde zu beteiligen!

Diese Seite soll Bürgern, die das Recht der Mitgestaltung in Anspruch nehmen und damit auch ihre bürgerschaftliche Pflicht zur Mitwirkung erfüllen wollen, Hilfsmittel, Argumentationshilfen und Unterstützung bieten, um jenseits von politischen Parteien oder als Verein organisierten Wählervereinigungen bei der Kommunalwahl 2024 als sog. „nichtmitgliedschaftlich organisierte Wählervereinigung“ eine Kommunalwahlliste aufzustellen und so die direkte Stimme der Bürger und ihre Mitwirkungsrechte in den Gemeinderat und / oder Kreistag zu tragen. Parteipolitik hat auf der kommunalen Ebene nichts zu suchen, hier sollte es um ideologiefreie und vernunftgesteuerte Entscheidungen zum Wohle der Bürger gehen.

Denn: die Gemeindeordnung sieht ausdrücklich vor, dass bei wichtigen Entscheidungen nicht der Gemeinderat, sondern die Bürger in einem Bürgerentscheid direkt entscheiden! § 21 Satz 1 GemO: Der Gemeinderat kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, dass eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, der Entscheidung der Bürger unterstellt wird (Bürgerentscheid). Uns ist kein Fall bekannt, wo diese Möglichkeit genutzt wurde.

Die in der Gemeindeordung festgelegten Rechte (und Pflichten!) der bürgerschaftlichen Mitbestimmung findest Du auf der nächsten Seite.

Rechtliche Grundlagen der kommunalen Mitbestimmung

Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg (GemO) und die Landkreisordnung Baden-Württemberg (LKrO) bilden die rechtlichen Grundlagen der kommunalen Struktur im „Ländle“.

Die GemO legt in § 1 Satz 2 die hauptsächliche Aufgabe der Gemeinde fest: Die Gemeinde fördert in bürgerschaftlicher Selbstverwaltung das gemeinsame Wohl ihrer Einwohner und erfüllt die ihr von Land und Bund zugewiesenen Aufgaben. Eine „bürgerschaftliche Selbstverwaltung“ kann sich nicht in der Teilnahme an Wahlen zum Gemeinderat erschöpfen, sondern muss weit darüber hinausgehen.

Die Gemeinden können die Art und Weise, wie sie ihre Angelegenheiten regeln, in eigenen Satzungen festlegen, die vom Gemeinderat beschlossen werden müssen. Diese Satzungen sollten sich auf der Webseite Ihrer Gemeinde befinden. Die zentrale Satzung trägt meist den Namen Hauptsatzung – schau Dir die Hauptsatzung und eventuell andere Satzungen Deiner Gemeinde an. Findest Du dort etwas über Information und Einbeziehung der Einwohner? Wenn nicht, ist dies schon mal ein Punkt für ein Wahlprogramm Deiner Kommunalwahlliste!

Die LKrO beschreibt die § 1 Satz 1 die hauptsächliche Aufgabe des Landkreises als „die Förderung des Wohls seiner Einwohner“ und als die Verwaltung und den Lastenausgleich zwischen den Gemeinden des Landkreises. Hier ist bürgerliche Mitbestimmung leider nicht in dem Rahmen vorgesehen wie auf kommunaler Ebene, was allerdings unlogisch ist, da die Stadtkreise (Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim …) die gleichen Aufgaben erfüllen wie die Landkreise, aber nach der Gemeindeordnung organisiert sind.

Während die Landkreisordnung also ausschließlich Informationspflichten des Landkreises vorsieht (sie auch selten umgesetzt werden!) und im Hinblick auf demokratische Mitwirkung noch sehr ausbaufähig ist, sieht die Gemeindeordnung umfassende Mitwirkungsrechte der Bürger vor:

Elemente der bürgerschaftllichen Mitwirkung sind:

Die Unterrichtung der Einwohner

Die Unterrichtung der Einwohner ist sowohl für die Gemeinde als auch für den Landkreis vorgeschrieben (§ 20 GemO und § 17 LKrO). Fühlst Du Dich umfassend informiert, was in Deiner Gemeinde und in Deinem Landkreis vor sich geht? Fühlst Du Dich eingeladen, Dich für die Verwaltung und Gestaltung Ihrer Gemeinde und Ihres Landkreises zu interessieren und engagieren? Heisst es doch in den beiden Gesetzen: Der Gemeinderat (Kreistag) unterrichtet die Einwohner durch den Bürgermeister (Landrat) über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde (des Landkreises) und sorgt für die Förderung des allgemeinen Interesses an der Verwaltung der Gemeinde (des Landkreises).

In den Gemeinden, die ein Amtsblatt (Gemeindeblatt) herausgeben, ist die Information von der Gemeindeebene oft einigermaßen gegeben, oft wird dort aus den Gemeinderatssitzungen berichtet und das Protokoll veröffentlicht. In den Kommunen jedoch, die kein Amtsblatt herausgeben, sind Bürger meist auf die lokale Presse angewiesen (was ein kostenpflichtiges Abonnement einer lokalen Tageszeitung voraussetzt) oder müssen auf der Webseite der Kommune suchen, wo aber meist nur ein trockenes Ergebnisprotokoll ersichtlich ist, aus dem beispielsweise nicht hervorgeht, wer für und wer gegen welchen Antrag gestimmt hat.

Weiter schreiben beide Gesetze vor, dass bei wichtigen Entscheidungen die Bürger frühzeitig informiert und unterrichtet werden sollen. Wird dies in Deiner Gemeinde und in Deinem Landkreis praktiziert? Beide Gesetze formulieren ausdrücklich eine Informationspflicht als Bringschuld der Gemeinden und Landkreise, nicht als Holschuld der Bürger. Wie weit ein Abonnement des Amtsblattes – das für relativ wenig Geld zu erhalten ist – schon eine zu hohe Hürde ist, darüber kann man streiten, das Abonnement einer lokalen Tageszeitung ist es auf jeden Fall, vor allem wird dort ja – wenn überhaupt – immer durch die Brille des jeweiligen Redakteurs berichtet, d.h. nicht objektiv und politisch bzw. ideologisch eingefärbt, die im Gemeinderat vertretenen Fraktionen haben dort kein Recht, ihre Stellungnahme ungekürzt zu veröffentlichen.

Fazit: In der Umsetzung der Informationspflichten der Gemeinden und Landkreise herrscht oft ein großes Defizit. Dies zu ändern, sollte ein Ziel jeder freien Bürgerliste sein.

Die Einwohnerversammlung

Auf Gemeindeebene wird in § 20a GemO eine regelmäßige (einmal jährlich, ansonsten nach Bedarf) Einwohnerversammlung gefordert. Findet diese bei Dir jährlich statt? Wurden Einwohnerversammlungen zu „wichtigen Gemeindeangelegenheiten“ einberufen (wobei „wichtig“ und „nach Bedarf“ natürlich dehnbare Begriffe sind, trotzdem sollte ein Gemeinderat oder ein Bürgermeister einen „Bedarf“ für eine Einwohnerversammlung eigentlich selbst erkennen und ein Gespür dafür haben, was eine wichtige Angelegenheit ist). Ansonsten können Einwohnerversammlungen formell beantragt werden, indem eine Unterschriftenliste eingereicht wird – eine gute Möglichkeit, zumindest Informationen aus erster Hand einzufordern und direkt mit den Verantwortlichen zu diskutieren, die von der Gemeinde nicht umfassend und gemäß der Gemeindordnung gegeben werden. Bevor Du aber eine Unterschriftenaktion zur Durchfühung einer Einwohnerversammlung startest, ist es ratsam, öffentlich in der Gemeinderatssitzung mit Verweis auf § 20a GemO eine Einwohnerversammlung zu fordern, wenn in Deiner Gemeinde eine Planung, ein Vorhaben oder eine sonstige Entscheidung von allgemeinem Interesse ansteht. Vielleicht reicht schon die Anfrage aus, dass der Gemeinderat eine solche Einwohnerversammlung von sich aus durchführt. Einwohnerversammlungen bei wichtigen Entscheidungen sollten zu einer Selbstverständlichkeit werden!

Vorschlag: Fordere eine Einwohnerversammlung zur Informationspolitik Deiner Gemeinde!

Die Hürde für die Beantragung einer Einwohnerversammlung ist wie folgt: In kleinen Gemeinden bis 10.000 Einwohner benötigst Du Unterschriften von mindestens 5% der Einwohner, maximal 350, in größeren Gemeinden benötigst Du Unterschriften von minestens 2,5% der Einwohner, dabei mindestens 350 und maximal 2.500. Einwohnerversammlungen können aber auch nur für einen Ortsteil, einen Gemeindebezirk oder eine unselbständige Ortschaft innerhalb einer Gemeinde beantragt werden, dann gilt die Einwohnerzahl dieses Gemeindeteiles.

Fazit: Auch bei der Durchführung von Einwohnerversammlungen einmal jährlich und „nach Bedarf“ herrscht meist ein großes Defizit. Dies zu ändern, sollte ein Ziel jeder freien Bürgerliste sein!

Einwohnerantrag

Mit einem Einwohnerantrag nach § 20b GemO kannst Du den Gemeinderat auffordern, sich mit einem bestimmten Sachverhalt zu beschäftigen. Du setzt damit quasi ein Thema auf die Tagesordnung des Gemeinderates, ohne aber das Ergebnis der Beratung beeinflussen zu können. Es gelten einige Einschränkungen in den Themen, der Antrag muss ausreichend bestimmt formuliert und begründet sein.

Die Hürde für einen Einwohnerantrag ist niedriger als bei der Beantragung einer Einwohnverversammlung. Allerdings kannst Du diesen nur für die Gesamtgemeinde, für eine Ortschaft mit einem verfassten Ortschaftsrat oder einen Gemeindebezirk mit Bezirksbeirat einreichen. Die Hürde ist wie folgt: In kleinen Gemeinden oder Ortschaften bis 10.000 Einwohner benötigst Du Unterschriften von mindestens 3% der Einwohner, maximal 200, in größeren Gemeinden benötigst Du Unterschriften von mindestens 1,5% der Einwohner, dabei mindestens 200 und maximal 2.500. Wenn Du einen Einwohnerantrag für eine Behandlung eines Themas im Ortschafts- oder Bezirksbeirat einreichen, muss dieses Thema natürlich auch nur in diesen behandelt werden, nicht im Gemeinderat selbst.

Vorschlag: Fordere die Informationspolitik und die Einbeziehung der Bürger in die Entscheidungen der Gemeinde als im Gemeinderat zu diskutieren, und weise bei der Forderung auf bestehende Defizite hin!

Bürgerentscheid bzw. Bürgerbegehren

Ein „freiweilliger“ Bürgerentscheid nach § 21 Satz 1 und 2 GemO bei einer wichtigen Angelegenheit sollte in einer Demokratie mit mündigen Bürgern, die – wie in § 1 Abs 3 GemO gefordert – verantwortlich an der Verwaltung ihrer Gemeinde teilhaben, eigentlich „normal“ sein. Leider gibt es meines Wissens noch keinen Fall in Baden-Württemberg, in dem ein Gemeinderat freiwillig von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, eine Entscheidung an die Bürger „weiterzugeben“. Dies ist umso unverständlicher, weil inbesondere bei „unangenehmen“ und umstrittenen Entscheidungen der Gemeinderat damit auch die Verantwortung an die Bürger weitergeben würde. Es scheint aber, dass das Selbstverständnis vieler Gemeinderäte, die Dinge besser beurteilen zu können als „normale“ Bürger, hier eine Hürde ist.

Deshalb sieht die GemO in § 21 Satz 3 ff vor, dass Bürger in einem Bürgerbegehren den Gemeinderat veranlassen können, sozusagen „unfreiwillig“ einen Bürgerentscheid durchzuführen. Auch hier gelten Einschränkungen. Wenn Du ein Bürgerbegehren für die Durchführung eines Bürgerentscheides planst, ist die Webseite des Vereins Mehr Demokratie e.V. Baden-Württemberg zu empfehlen, die viele konkrete Hinweise gibt – der Verein berät Dich dann auch konkret, dass Du in den Formulierungen etc. alles richtig machen.

Fazit: Die Bürger über wichtige Fragen der Gemeinde direkt entscheiden zu lassen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eine freie Bürgerliste sollte dies als eine Hauptforderung in ihr Wahlprogramm aufnehmen – und im Falle eine Wahl dann auch umsetzen bzw. sich im Gemeinderat dafür einsetzen! Letzteres ist besonders schwierig, da die von einer freien Bürgerliste gewählen Gemeinderäte dann ja sozusagen auf der „anderen Seite“ sitzen – diskutiere vor der Listenwahl ausführlich darüber!

Mitbestimmungs-Defizite

Obwohl die GemO einige Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Mitbestimmung bietet, sind in Baden-Württemberg noch einige Demokratiedefizite zu verzeichnen. Dies betrifft vor allem die Mitbestimmung für Themen des Landkreises. Hier gibt es auch eine Ungleichbehandlung, die m.E. eigentlich unzulässig ist. Bürger in den 9 Stadtkreisen könnten nach der GemO z.B. über den öffentlichen Nahverkehr, über Kliniken und andere Aufgaben, die sonst auf Landkreisebene entschieden werden, einen Bürgerentscheid herbeiführen, während die Bürger „auf dem Land“, die also in Gemeinden und Städten leben die einem Landkreis zugeordnet sind, hier keine Möglichkeit haben.

Weitere Demokratiedefizite – die dann aber Thema für die Landtagswahl sind, da dafür die Landesgesetze geändert werden müssten – findest Du im nächsten Kapitel.

Demokratie-Defizite in Baden-Württemberg

Viele gehen davon aus, dass die Verwaltungsstrukturen in Baden-Württemberg demokratisch aufgabebaut sind. Schaut man aber genauer hin, so findet man viele Defizite und Strukturen, die dem Anspruch einer „verantwortlichen Teilnahme an der bürgerschaftlichen Verwaltung“ (§ 1 Art. 3 GemO) nicht gerecht werden.

Dies sind:

Demokratie-Defizite auf Gemeindeebene

Die Wahl des Orts- oder Bezirksvorstandes

In einer Gemeinde mit Ortschafts- oder Bezirksverfassung (also gewählten Ortschaftsräten oder Bezirksbeiräten) wird der Orts- bzw. Bezirksvorsteher vom Gemeinderat gewählt, nicht von den Einwohnern der jeweiligen Ortschaft bzw. Bezirkes und auch nicht von dem Ortschaftsrat oder Bezirksbeirat, die dürfen nur Vorschläge machen, es entscheidet der Gemeinderat.

Dies widerspricht nicht nur einem gesunden Demokratieempfinden, sondern ist auch unlogisch, denn:

Ein Orts- obder Bezirksvorstand ist ein (Teilzeit-)Beamter, der für seine Tätigkeit auch (nicht schlecht) bezahlt wird. Seine Tätigkeit ähnelt der eines Bürgermeisters mit eingeschränkter Entscheidungsbefugnis. Er leitet beispielsweise die Ortschaftsrats- oder Bezirksbeiratssitzung. Viele Ortschaften und Bezirke sind größer und haben mehr Einwohner als kleinere ländliche Gemeinden. Es ist also eher unlogisch, dass die Bürger eines Ortes mit Ortschaftsrat bzw. eines Stadtbezirkes nicht dirket bestimmen können, wer dem Ortschaftsrat bzw. Bezirksbeirat vorsteht und politischer Leiter der Orts- bzw. Bezirksverwaltung ist.

Die Wahl der Beigeordneten

In größeren Städten gibt es neben dem für 8 Jahre gewählten Oberbürgermeister meist einen oder mehrere „Beigeordnete“, die umgangssprachlich Bürgermeister genannt werden. Sie werden aber nicht von der Bevölkerung, sondern nur vom Gemeinderat gewählt.

Auch dies ist unlogisch, denn sie übernehmen selbstständig die Oberaufsicht über und die Verantwortung für einen Teil der Verwaltung. Man könnte argumentieren, dass der Oberbürgermeister und seine Bürgermeister ein gutes Team bilden müssen und der Gemeinderat hier eine bessere Enstscheidungsgrundlage hat, oder dass der Bürgermeister für einen bestimmten Fachbereich besonders qualifiziert sein sollte – allerdings sind beide Argumente nicht stichhaltig. Die „Harmonie“ zwischen dem Bürgermeister und dem Oberbürgermeister ist i.d.R. kein Kriterium für die Auswahl durch den Gemeinderat. Ob die Bürger nicht auch entscheiden können, welcher Bewerber nun konkret für die Finanzen, für Technik oder welche Arbeitsschwerpunkte für einen Beigeordneten / Bürgermeister vorgesehen sind, qualifiziert ist, ist eine Unterstellung – vielleicht ist die Schwarmintelligenz der Bürgerschaft sogar besser als die eines Gemeinderates, bei dessen Entscheidung oft (partei-)politische Interessen eine Rolle spielen und oft die fachlichen Kriterien nicht unbedingt im Vordergrund stehen.

Ungleichbehandlung in Städten mit Ortsverfassung

In Städten mit Ortsverfassungen gibt es meist eine „Kernstadt“ und Ortsteile. Die Ortsteile haben nach der Ortsverfassung einen Ortschaftsrat, der über die Dinge berät und teilweise entscheidet, die den Ort selber betreffen. In der Kernstadt gibt es aber i.d.R. keine Gremien, die über die Dinge beraten und entscheiden können, die einzelne Stadtteile oder Quartiere betreffen – hier entscheidet der Gemeinderat in seiner Gesamtheit (bzw. oft auch nur ein Ausschuss des Gemeinderates), in dem eventuell kein Einwohner des betroffenen Stadtteils oder Quartiers vertreten ist.

Hier müsste die GemO neue Strukturen schaffen, dass ab einer gewissen Größe in allen Stadtteilen und Quartieren Gremien gebildet werden müssen, die über die Dinge, die den Stadtteil bzw. das Quartier betreffen, direkt entscheiden können. Warum soll besipielsweise der Stadtrat einer mittelgroßen Stadt über die Gestaltung eines Spielplatzes oder einer Straße entscheiden und nicht die Einwohner des Quartiers, in dem der Spielplatz oder die Straße liegt?

Natürlich könnte jede Gemeinde in ihrer Gemeindesatzung beschließen, Stadtteil- oder Quartiersbeiräte einzurichten oder regelmäßige Stadtteil- oder Quartiersversammlungen einzurichten und ihnen auch Entscheidungsbefugnis zu geben. Dies wäre ein weiteres Ziel für eine freie Bürgerliste, die sich mehr Demokratie und Mitbestimmung auf die Fahne schreibt.

Demokratie-Defizite auf Landkreisebene

Fehlende Mitbestimmung auf Landkreisebene

Wie schon erwähnt, gibt es für Bürger in den Landkreisen außer dem in § 17 LKrO festgeschriebenem Recht auf Information keine Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger für Entscheidungen, die auf Landkreisebene gefällt werden. Dies sind beispielsweise überörtliche Infrastrukturprojekte, der überörtliche öffentliche Personennahverkehr (Busse, Straßenbahnen, S-Bahnen etc.), die Gesundheitsversorgung und vieles mehr.

Hier haben die Bürger, die in Landkreisen leben, signifikant weniger Mitbestimmungsrechte als die Bürger in den neun Stadtkreisen, in denen der Gemeinderat über die genannten Themen entscheidet und alle Mitbestimmungsmöglichkeiten nach §§ 20, 20a, 20b und 21 GemO gelten.

Wahl des Landrates

Anders als in vielen anderen Bundesländern (z.B. in Sachsen) wird der Landrat in Baden-Württemberg nicht von der Bevölkerung, sondern nur vom Kreistag gewählt. Dies widerspricht nicht nur dem gesunden Demokratieverständnis, sondern ist auch unlogisch, denn ein Landrat hat eine Amtszeit von 8 Jahren wie ein Bürgermeister, und die Oberbürgermeister der neun Stadtkreise (Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim …), die über ähnliche Sachbereiche entscheiden wie die Landräte, werden direkt gewählt.

Bürgermeister in Kreistagen

Eine Aufgabe einer Landkreisverwaltung ist die Aufsicht über die kleineren Gemeinden und Städte des Landkreises, die sog. Kommunalaufsicht. Es ist deshalb kritisch, wenn Bürgermeister der Gemeinden im Kreistag sitzen, also in dem Gremium der Verwaltung, die über sie und ihre Arbeit die Aufsicht hat. Wenn Sie in einem Landkreis leben: Schauen Sie doch mal in ihrem Kreistag nach, wie viele Bürgermeister dort hineingewählt wurden. Hier sind Interessenskonflikte vorprogrammiert.

Nicht umsonst dürfen in vielen Bundesländern – beispielsweise Niedersachen – Bürgermeister nicht in den Kreistag gewählt werden.

Verband Region Stuttgart – und die anderen?

Eigentlich schon eine Ebene „höher“ ist die Besonderheit „Verband Region Stuttgart„. Hier genießt die Landeshauptstadt mit den umliegenden fünf Landkreisen eine Sonderstellung und hat mit der Regionalversammlung ein gesondertes Parlament, das die Zusammenarbeit koordiniert und politisch begleitet. Dieses Parlament wird von allen Steuerzahlern in Baden-Württemberg finanziert. Da fragt es sich doch, warum nicht die anderen 11 Regionalverbände ebenfalls ein entsprechende Regionalversammlung haben, wie es sich aus dem demokratischen Grundsatz der Gleichberechtigung logisch ergeben würde.

Demokratie-Defizite auf Landesebene

Auch wenn es mit der Kommunalwahl nicht direkt etwas zu tun hat, seien der Vollständigkeit halber noch Demokratie-Defizite auf Landesebene erwähnt.

Dem einen oder anderen ist die Volksabstimmung zu Stuttgart21 noch in Erinnerung – eine Abstimmung, wo sich heute jeder fragt, wie es geschehen konnte dass die Mehrheit der Menschen in BW für die Fortsetzung dieses Projektes gestimmt hat. Diese Volksabstimmung zeigt, wie man eine Volksabstimmung nicht machen sollte – dass nämlich auf der einen Seite eine professionell geplante und designte Kampagne gefahren wird, finanziert sowohl aus Steuergeldern (Region Stuttgart) als auch von Großkonzernen, und auf der anderen Seite einfache Bürger aus ihren versteuerten Einkommen oder Renten eine Gegenkampagne finanziern müssen, nur um Unheil von der Gesellschaft abzuwenden. So fuhren Busse mit Hochglanz-Videos von Managerphantasien, die mit wirklichen Ingenieuren nicht abgestimmt waren, auf die Marktplätze und suggerierten „das am besten geplante Projekt“ der letzten Jahrzehnte.

Der Verein Mehr Demokratie e.V. erklärt auf seine Webseite die Möglichkeiten der direkten Demokratie auf Landesebene und stellt auch Reformvorschläge vor. Diese Vorschläge sind natürlich alle sinnvoll, beziehen sich aber nur auf eine Verbesserung des Ablaufs, nicht aur die Finanzierung. Hier braucht es m.E. noch eine Nachbesserung, denn die Wahrnehmung demokratischer Rechte sollte nicht am Geld scheitern.

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