Demokratie-Defizite in Baden-Württemberg

Viele gehen davon aus, dass die Verwaltungsstrukturen in Baden-Württemberg demokratisch aufgabebaut sind. Schaut man aber genauer hin, so findet man viele Defizite und Strukturen, die dem Anspruch einer „verantwortlichen Teilnahme an der bürgerschaftlichen Verwaltung“ (§ 1 Art. 3 GemO) nicht gerecht werden.

Dies sind:

Demokratie-Defizite auf Gemeindeebene

Die Wahl des Orts- oder Bezirksvorstandes

In einer Gemeinde mit Ortschafts- oder Bezirksverfassung (also gewählten Ortschaftsräten oder Bezirksbeiräten) wird der Orts- bzw. Bezirksvorsteher vom Gemeinderat gewählt, nicht von den Einwohnern der jeweiligen Ortschaft bzw. Bezirkes und auch nicht von dem Ortschaftsrat oder Bezirksbeirat, die dürfen nur Vorschläge machen, es entscheidet der Gemeinderat.

Dies widerspricht nicht nur einem gesunden Demokratieempfinden, sondern ist auch unlogisch, denn:

Ein Orts- obder Bezirksvorstand ist ein (Teilzeit-)Beamter, der für seine Tätigkeit auch (nicht schlecht) bezahlt wird. Seine Tätigkeit ähnelt der eines Bürgermeisters mit eingeschränkter Entscheidungsbefugnis. Er leitet beispielsweise die Ortschaftsrats- oder Bezirksbeiratssitzung. Viele Ortschaften und Bezirke sind größer und haben mehr Einwohner als kleinere ländliche Gemeinden. Es ist also eher unlogisch, dass die Bürger eines Ortes mit Ortschaftsrat bzw. eines Stadtbezirkes nicht dirket bestimmen können, wer dem Ortschaftsrat bzw. Bezirksbeirat vorsteht und politischer Leiter der Orts- bzw. Bezirksverwaltung ist.

Die Wahl der Beigeordneten

In größeren Städten gibt es neben dem für 8 Jahre gewählten Oberbürgermeister meist einen oder mehrere „Beigeordnete“, die umgangssprachlich Bürgermeister genannt werden. Sie werden aber nicht von der Bevölkerung, sondern nur vom Gemeinderat gewählt.

Auch dies ist unlogisch, denn sie übernehmen selbstständig die Oberaufsicht über und die Verantwortung für einen Teil der Verwaltung. Man könnte argumentieren, dass der Oberbürgermeister und seine Bürgermeister ein gutes Team bilden müssen und der Gemeinderat hier eine bessere Enstscheidungsgrundlage hat, oder dass der Bürgermeister für einen bestimmten Fachbereich besonders qualifiziert sein sollte – allerdings sind beide Argumente nicht stichhaltig. Die „Harmonie“ zwischen dem Bürgermeister und dem Oberbürgermeister ist i.d.R. kein Kriterium für die Auswahl durch den Gemeinderat. Ob die Bürger nicht auch entscheiden können, welcher Bewerber nun konkret für die Finanzen, für Technik oder welche Arbeitsschwerpunkte für einen Beigeordneten / Bürgermeister vorgesehen sind, qualifiziert ist, ist eine Unterstellung – vielleicht ist die Schwarmintelligenz der Bürgerschaft sogar besser als die eines Gemeinderates, bei dessen Entscheidung oft (partei-)politische Interessen eine Rolle spielen und oft die fachlichen Kriterien nicht unbedingt im Vordergrund stehen.

Ungleichbehandlung in Städten mit Ortsverfassung

In Städten mit Ortsverfassungen gibt es meist eine „Kernstadt“ und Ortsteile. Die Ortsteile haben nach der Ortsverfassung einen Ortschaftsrat, der über die Dinge berät und teilweise entscheidet, die den Ort selber betreffen. In der Kernstadt gibt es aber i.d.R. keine Gremien, die über die Dinge beraten und entscheiden können, die einzelne Stadtteile oder Quartiere betreffen – hier entscheidet der Gemeinderat in seiner Gesamtheit (bzw. oft auch nur ein Ausschuss des Gemeinderates), in dem eventuell kein Einwohner des betroffenen Stadtteils oder Quartiers vertreten ist.

Hier müsste die GemO neue Strukturen schaffen, dass ab einer gewissen Größe in allen Stadtteilen und Quartieren Gremien gebildet werden müssen, die über die Dinge, die den Stadtteil bzw. das Quartier betreffen, direkt entscheiden können. Warum soll besipielsweise der Stadtrat einer mittelgroßen Stadt über die Gestaltung eines Spielplatzes oder einer Straße entscheiden und nicht die Einwohner des Quartiers, in dem der Spielplatz oder die Straße liegt?

Natürlich könnte jede Gemeinde in ihrer Gemeindesatzung beschließen, Stadtteil- oder Quartiersbeiräte einzurichten oder regelmäßige Stadtteil- oder Quartiersversammlungen einzurichten und ihnen auch Entscheidungsbefugnis zu geben. Dies wäre ein weiteres Ziel für eine freie Bürgerliste, die sich mehr Demokratie und Mitbestimmung auf die Fahne schreibt.

Demokratie-Defizite auf Landkreisebene

Fehlende Mitbestimmung auf Landkreisebene

Wie schon erwähnt, gibt es für Bürger in den Landkreisen außer dem in § 17 LKrO festgeschriebenem Recht auf Information keine Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger für Entscheidungen, die auf Landkreisebene gefällt werden. Dies sind beispielsweise überörtliche Infrastrukturprojekte, der überörtliche öffentliche Personennahverkehr (Busse, Straßenbahnen, S-Bahnen etc.), die Gesundheitsversorgung und vieles mehr.

Hier haben die Bürger, die in Landkreisen leben, signifikant weniger Mitbestimmungsrechte als die Bürger in den neun Stadtkreisen, in denen der Gemeinderat über die genannten Themen entscheidet und alle Mitbestimmungsmöglichkeiten nach §§ 20, 20a, 20b und 21 GemO gelten.

Wahl des Landrates

Anders als in vielen anderen Bundesländern (z.B. in Sachsen) wird der Landrat in Baden-Württemberg nicht von der Bevölkerung, sondern nur vom Kreistag gewählt. Dies widerspricht nicht nur dem gesunden Demokratieverständnis, sondern ist auch unlogisch, denn ein Landrat hat eine Amtszeit von 8 Jahren wie ein Bürgermeister, und die Oberbürgermeister der neun Stadtkreise (Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim …), die über ähnliche Sachbereiche entscheiden wie die Landräte, werden direkt gewählt.

Bürgermeister in Kreistagen

Eine Aufgabe einer Landkreisverwaltung ist die Aufsicht über die kleineren Gemeinden und Städte des Landkreises, die sog. Kommunalaufsicht. Es ist deshalb kritisch, wenn Bürgermeister der Gemeinden im Kreistag sitzen, also in dem Gremium der Verwaltung, die über sie und ihre Arbeit die Aufsicht hat. Wenn Sie in einem Landkreis leben: Schauen Sie doch mal in ihrem Kreistag nach, wie viele Bürgermeister dort hineingewählt wurden. Hier sind Interessenskonflikte vorprogrammiert.

Nicht umsonst dürfen in vielen Bundesländern – beispielsweise Niedersachen – Bürgermeister nicht in den Kreistag gewählt werden.

Verband Region Stuttgart – und die anderen?

Eigentlich schon eine Ebene „höher“ ist die Besonderheit „Verband Region Stuttgart„. Hier genießt die Landeshauptstadt mit den umliegenden fünf Landkreisen eine Sonderstellung und hat mit der Regionalversammlung ein gesondertes Parlament, das die Zusammenarbeit koordiniert und politisch begleitet. Dieses Parlament wird von allen Steuerzahlern in Baden-Württemberg finanziert. Da fragt es sich doch, warum nicht die anderen 11 Regionalverbände ebenfalls ein entsprechende Regionalversammlung haben, wie es sich aus dem demokratischen Grundsatz der Gleichberechtigung logisch ergeben würde.

Demokratie-Defizite auf Landesebene

Auch wenn es mit der Kommunalwahl nicht direkt etwas zu tun hat, seien der Vollständigkeit halber noch Demokratie-Defizite auf Landesebene erwähnt.

Dem einen oder anderen ist die Volksabstimmung zu Stuttgart21 noch in Erinnerung – eine Abstimmung, wo sich heute jeder fragt, wie es geschehen konnte dass die Mehrheit der Menschen in BW für die Fortsetzung dieses Projektes gestimmt hat. Diese Volksabstimmung zeigt, wie man eine Volksabstimmung nicht machen sollte – dass nämlich auf der einen Seite eine professionell geplante und designte Kampagne gefahren wird, finanziert sowohl aus Steuergeldern (Region Stuttgart) als auch von Großkonzernen, und auf der anderen Seite einfache Bürger aus ihren versteuerten Einkommen oder Renten eine Gegenkampagne finanziern müssen, nur um Unheil von der Gesellschaft abzuwenden. So fuhren Busse mit Hochglanz-Videos von Managerphantasien, die mit wirklichen Ingenieuren nicht abgestimmt waren, auf die Marktplätze und suggerierten „das am besten geplante Projekt“ der letzten Jahrzehnte.

Der Verein Mehr Demokratie e.V. erklärt auf seine Webseite die Möglichkeiten der direkten Demokratie auf Landesebene und stellt auch Reformvorschläge vor. Diese Vorschläge sind natürlich alle sinnvoll, beziehen sich aber nur auf eine Verbesserung des Ablaufs, nicht aur die Finanzierung. Hier braucht es m.E. noch eine Nachbesserung, denn die Wahrnehmung demokratischer Rechte sollte nicht am Geld scheitern.

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