Rechtliche Grundlagen der kommunalen Mitbestimmung

Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg (GemO) und die Landkreisordnung Baden-Württemberg (LKrO) bilden die rechtlichen Grundlagen der kommunalen Struktur im „Ländle“.

Die GemO legt in § 1 Satz 2 die hauptsächliche Aufgabe der Gemeinde fest: Die Gemeinde fördert in bürgerschaftlicher Selbstverwaltung das gemeinsame Wohl ihrer Einwohner und erfüllt die ihr von Land und Bund zugewiesenen Aufgaben. Eine „bürgerschaftliche Selbstverwaltung“ kann sich nicht in der Teilnahme an Wahlen zum Gemeinderat erschöpfen, sondern muss weit darüber hinausgehen.

Die Gemeinden können die Art und Weise, wie sie ihre Angelegenheiten regeln, in eigenen Satzungen festlegen, die vom Gemeinderat beschlossen werden müssen. Diese Satzungen sollten sich auf der Webseite Ihrer Gemeinde befinden. Die zentrale Satzung trägt meist den Namen Hauptsatzung – schau Dir die Hauptsatzung und eventuell andere Satzungen Deiner Gemeinde an. Findest Du dort etwas über Information und Einbeziehung der Einwohner? Wenn nicht, ist dies schon mal ein Punkt für ein Wahlprogramm Deiner Kommunalwahlliste!

Die LKrO beschreibt die § 1 Satz 1 die hauptsächliche Aufgabe des Landkreises als „die Förderung des Wohls seiner Einwohner“ und als die Verwaltung und den Lastenausgleich zwischen den Gemeinden des Landkreises. Hier ist bürgerliche Mitbestimmung leider nicht in dem Rahmen vorgesehen wie auf kommunaler Ebene, was allerdings unlogisch ist, da die Stadtkreise (Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim …) die gleichen Aufgaben erfüllen wie die Landkreise, aber nach der Gemeindeordnung organisiert sind.

Während die Landkreisordnung also ausschließlich Informationspflichten des Landkreises vorsieht (sie auch selten umgesetzt werden!) und im Hinblick auf demokratische Mitwirkung noch sehr ausbaufähig ist, sieht die Gemeindeordnung umfassende Mitwirkungsrechte der Bürger vor:

Elemente der bürgerschaftllichen Mitwirkung sind:

Die Unterrichtung der Einwohner

Die Unterrichtung der Einwohner ist sowohl für die Gemeinde als auch für den Landkreis vorgeschrieben (§ 20 GemO und § 17 LKrO). Fühlst Du Dich umfassend informiert, was in Deiner Gemeinde und in Deinem Landkreis vor sich geht? Fühlst Du Dich eingeladen, Dich für die Verwaltung und Gestaltung Ihrer Gemeinde und Ihres Landkreises zu interessieren und engagieren? Heisst es doch in den beiden Gesetzen: Der Gemeinderat (Kreistag) unterrichtet die Einwohner durch den Bürgermeister (Landrat) über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde (des Landkreises) und sorgt für die Förderung des allgemeinen Interesses an der Verwaltung der Gemeinde (des Landkreises).

In den Gemeinden, die ein Amtsblatt (Gemeindeblatt) herausgeben, ist die Information von der Gemeindeebene oft einigermaßen gegeben, oft wird dort aus den Gemeinderatssitzungen berichtet und das Protokoll veröffentlicht. In den Kommunen jedoch, die kein Amtsblatt herausgeben, sind Bürger meist auf die lokale Presse angewiesen (was ein kostenpflichtiges Abonnement einer lokalen Tageszeitung voraussetzt) oder müssen auf der Webseite der Kommune suchen, wo aber meist nur ein trockenes Ergebnisprotokoll ersichtlich ist, aus dem beispielsweise nicht hervorgeht, wer für und wer gegen welchen Antrag gestimmt hat.

Weiter schreiben beide Gesetze vor, dass bei wichtigen Entscheidungen die Bürger frühzeitig informiert und unterrichtet werden sollen. Wird dies in Deiner Gemeinde und in Deinem Landkreis praktiziert? Beide Gesetze formulieren ausdrücklich eine Informationspflicht als Bringschuld der Gemeinden und Landkreise, nicht als Holschuld der Bürger. Wie weit ein Abonnement des Amtsblattes – das für relativ wenig Geld zu erhalten ist – schon eine zu hohe Hürde ist, darüber kann man streiten, das Abonnement einer lokalen Tageszeitung ist es auf jeden Fall, vor allem wird dort ja – wenn überhaupt – immer durch die Brille des jeweiligen Redakteurs berichtet, d.h. nicht objektiv und politisch bzw. ideologisch eingefärbt, die im Gemeinderat vertretenen Fraktionen haben dort kein Recht, ihre Stellungnahme ungekürzt zu veröffentlichen.

Fazit: In der Umsetzung der Informationspflichten der Gemeinden und Landkreise herrscht oft ein großes Defizit. Dies zu ändern, sollte ein Ziel jeder freien Bürgerliste sein.

Die Einwohnerversammlung

Auf Gemeindeebene wird in § 20a GemO eine regelmäßige (einmal jährlich, ansonsten nach Bedarf) Einwohnerversammlung gefordert. Findet diese bei Dir jährlich statt? Wurden Einwohnerversammlungen zu „wichtigen Gemeindeangelegenheiten“ einberufen (wobei „wichtig“ und „nach Bedarf“ natürlich dehnbare Begriffe sind, trotzdem sollte ein Gemeinderat oder ein Bürgermeister einen „Bedarf“ für eine Einwohnerversammlung eigentlich selbst erkennen und ein Gespür dafür haben, was eine wichtige Angelegenheit ist). Ansonsten können Einwohnerversammlungen formell beantragt werden, indem eine Unterschriftenliste eingereicht wird – eine gute Möglichkeit, zumindest Informationen aus erster Hand einzufordern und direkt mit den Verantwortlichen zu diskutieren, die von der Gemeinde nicht umfassend und gemäß der Gemeindordnung gegeben werden. Bevor Du aber eine Unterschriftenaktion zur Durchfühung einer Einwohnerversammlung startest, ist es ratsam, öffentlich in der Gemeinderatssitzung mit Verweis auf § 20a GemO eine Einwohnerversammlung zu fordern, wenn in Deiner Gemeinde eine Planung, ein Vorhaben oder eine sonstige Entscheidung von allgemeinem Interesse ansteht. Vielleicht reicht schon die Anfrage aus, dass der Gemeinderat eine solche Einwohnerversammlung von sich aus durchführt. Einwohnerversammlungen bei wichtigen Entscheidungen sollten zu einer Selbstverständlichkeit werden!

Vorschlag: Fordere eine Einwohnerversammlung zur Informationspolitik Deiner Gemeinde!

Die Hürde für die Beantragung einer Einwohnerversammlung ist wie folgt: In kleinen Gemeinden bis 10.000 Einwohner benötigst Du Unterschriften von mindestens 5% der Einwohner, maximal 350, in größeren Gemeinden benötigst Du Unterschriften von minestens 2,5% der Einwohner, dabei mindestens 350 und maximal 2.500. Einwohnerversammlungen können aber auch nur für einen Ortsteil, einen Gemeindebezirk oder eine unselbständige Ortschaft innerhalb einer Gemeinde beantragt werden, dann gilt die Einwohnerzahl dieses Gemeindeteiles.

Fazit: Auch bei der Durchführung von Einwohnerversammlungen einmal jährlich und „nach Bedarf“ herrscht meist ein großes Defizit. Dies zu ändern, sollte ein Ziel jeder freien Bürgerliste sein!

Einwohnerantrag

Mit einem Einwohnerantrag nach § 20b GemO kannst Du den Gemeinderat auffordern, sich mit einem bestimmten Sachverhalt zu beschäftigen. Du setzt damit quasi ein Thema auf die Tagesordnung des Gemeinderates, ohne aber das Ergebnis der Beratung beeinflussen zu können. Es gelten einige Einschränkungen in den Themen, der Antrag muss ausreichend bestimmt formuliert und begründet sein.

Die Hürde für einen Einwohnerantrag ist niedriger als bei der Beantragung einer Einwohnverversammlung. Allerdings kannst Du diesen nur für die Gesamtgemeinde, für eine Ortschaft mit einem verfassten Ortschaftsrat oder einen Gemeindebezirk mit Bezirksbeirat einreichen. Die Hürde ist wie folgt: In kleinen Gemeinden oder Ortschaften bis 10.000 Einwohner benötigst Du Unterschriften von mindestens 3% der Einwohner, maximal 200, in größeren Gemeinden benötigst Du Unterschriften von mindestens 1,5% der Einwohner, dabei mindestens 200 und maximal 2.500. Wenn Du einen Einwohnerantrag für eine Behandlung eines Themas im Ortschafts- oder Bezirksbeirat einreichen, muss dieses Thema natürlich auch nur in diesen behandelt werden, nicht im Gemeinderat selbst.

Vorschlag: Fordere die Informationspolitik und die Einbeziehung der Bürger in die Entscheidungen der Gemeinde als im Gemeinderat zu diskutieren, und weise bei der Forderung auf bestehende Defizite hin!

Bürgerentscheid bzw. Bürgerbegehren

Ein „freiweilliger“ Bürgerentscheid nach § 21 Satz 1 und 2 GemO bei einer wichtigen Angelegenheit sollte in einer Demokratie mit mündigen Bürgern, die – wie in § 1 Abs 3 GemO gefordert – verantwortlich an der Verwaltung ihrer Gemeinde teilhaben, eigentlich „normal“ sein. Leider gibt es meines Wissens noch keinen Fall in Baden-Württemberg, in dem ein Gemeinderat freiwillig von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, eine Entscheidung an die Bürger „weiterzugeben“. Dies ist umso unverständlicher, weil inbesondere bei „unangenehmen“ und umstrittenen Entscheidungen der Gemeinderat damit auch die Verantwortung an die Bürger weitergeben würde. Es scheint aber, dass das Selbstverständnis vieler Gemeinderäte, die Dinge besser beurteilen zu können als „normale“ Bürger, hier eine Hürde ist.

Deshalb sieht die GemO in § 21 Satz 3 ff vor, dass Bürger in einem Bürgerbegehren den Gemeinderat veranlassen können, sozusagen „unfreiwillig“ einen Bürgerentscheid durchzuführen. Auch hier gelten Einschränkungen. Wenn Du ein Bürgerbegehren für die Durchführung eines Bürgerentscheides planst, ist die Webseite des Vereins Mehr Demokratie e.V. Baden-Württemberg zu empfehlen, die viele konkrete Hinweise gibt – der Verein berät Dich dann auch konkret, dass Du in den Formulierungen etc. alles richtig machen.

Fazit: Die Bürger über wichtige Fragen der Gemeinde direkt entscheiden zu lassen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eine freie Bürgerliste sollte dies als eine Hauptforderung in ihr Wahlprogramm aufnehmen – und im Falle eine Wahl dann auch umsetzen bzw. sich im Gemeinderat dafür einsetzen! Letzteres ist besonders schwierig, da die von einer freien Bürgerliste gewählen Gemeinderäte dann ja sozusagen auf der „anderen Seite“ sitzen – diskutiere vor der Listenwahl ausführlich darüber!

Mitbestimmungs-Defizite

Obwohl die GemO einige Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Mitbestimmung bietet, sind in Baden-Württemberg noch einige Demokratiedefizite zu verzeichnen. Dies betrifft vor allem die Mitbestimmung für Themen des Landkreises. Hier gibt es auch eine Ungleichbehandlung, die m.E. eigentlich unzulässig ist. Bürger in den 9 Stadtkreisen könnten nach der GemO z.B. über den öffentlichen Nahverkehr, über Kliniken und andere Aufgaben, die sonst auf Landkreisebene entschieden werden, einen Bürgerentscheid herbeiführen, während die Bürger „auf dem Land“, die also in Gemeinden und Städten leben die einem Landkreis zugeordnet sind, hier keine Möglichkeit haben.

Weitere Demokratiedefizite – die dann aber Thema für die Landtagswahl sind, da dafür die Landesgesetze geändert werden müssten – findest Du im nächsten Kapitel.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner